MS

Cladribin

Mavenclad®

Das Medikament

Kurzgefasst: Cladribin (Mavenclad®) wird zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit hochaktiver schubförmiger Multipler Sklerose (MS) angewendet. Cladribin ist eine (inaktive) Medikamentenvorstufe (Prodrug), die nach Aufnahme in Zellen aktiviert wird und dann vor allem in Immunzellen in die DNS-Synthese eingreift. Hierdurch wird die Aktivierung und Vermehrung von Immunzellen gehemmt. Cladribin wird als Tablette über 2 Jahre in jeweils 2 jährlichen Behandlungszyklen gegeben – jeder Zyklus umfasst die Einnahme von Tabletten an 5 Tagen in zwei aufeinanderfolgenden Monaten. Aufgrund einer langfristigen Auswirkung auf das Immunsystem benötigt die Mehrzahl der Patienten nach Gabe der 4 Zyklen zunächst keine weitere Immuntherapie. Hinsichtlich dieser Charakteristika zählt Cladribin zu den sogenannten gepulsten Immunrekonstitutionstherapien. Durch die Einnahme von Cladribin wird die Häufigkeit von Schüben und die in der MRT feststellbare Aktivität reduziert, darüber hinaus konnte die Zunahme der Behinderung gegenüber einer Placebo-Vergleichsgruppe reduziert werden. Eine wichtige Nebenwirkung, die allerdings auch den Wirkmechanismus der Substanz widerspiegelt, ist eine Verminderung der weißen Blutzellen. Diese Verminderung betrifft vor allem eine Untergruppe dieser Zellen, die Lymphozyten. Die Anzahl der weißen Blutzellen muss deshalb in regelmäßigen Abständen bestimmt werden („großes Blutbild“).

Was ist Cladribin (Mavenclad®)?
Cladribin ist ein niedermolekulares entzündungshemmendes Medikament. Die Substanz ist eine Medikamentenvorstufe (Prodrug), die erst nach Aufnahme in die Körperzellen aktiviert wird. Die Substanz wurde ursprünglich zur Therapie der seltenen Haarzell-Leukämie entwickelt. Aufgrund der sehr ausgeprägten Wirkung auf Entzündungszellen wurden schon vor vielen Jahren erste Studien zum Einsatz bei Multipler Sklerose durchgeführt. Da diese sehr vielversprechend waren, erfolgte dann Mitte der 2000er Jahre die systematische Weiterentwicklung der Substanz als MS Therapeutikum.

Wie wirkt Cladribin (Mavenclad®)?
Wenn Cladribin in Körperzellen aufgenommen wird, erfolgt die Aktivierung der Substanz. Sie wirkt nach Aktivierung als synthetischer Antimetabolit (Nukleosidanalogon), der die Synthese neuer DNS stört. Diese Wirkung ist in Immunzellen, vor allem in B- und T-Lymphozyten, besonders ausgeprägt. Diese Immunzellen treten dann in den Prozess des programmierten Zelltodes (Apoptose) ein und können sich nicht mehr an einer Entzündungsreaktion im Rahmen der MS beteiligen. Obwohl die Halbwertzeit von Cladribin relativ kurz ist, hat die Gabe von Cladribin langfristige Auswirkungen auf die Zusammensetzung von Immunzellen und damit auch eine langanhaltende immunmodulierende Wirkung bei MS.

Für wen ist Cladribin (Mavenclad®) zugelassen?
Cladribin ist in der EU seit August 2017 für erwachsene Patienten mit hochaktiver schubförmiger Multipler Sklerose zugelassen.

Wie wird Cladribin (Mavenclad®) eingenommen?
Cladribin ist als Tablette erhältlich. Es wird in insgesamt 4 Behandlungszyklen verteilt über 2 Jahre eingenommen. Die ersten zwei Behandlungszyklen finden im ersten und zweiten Monat des ersten Therapiejahres statt, die Behandlungszyklen 3 und 4 im ersten und zweiten Monat des zweiten Therapiejahres. Jeder Behandlungszyklus umfass 4 – 5 Tage an denen je nach Körpergewicht 1 – 2 Cladribin-Tabletten eingenommen werden müssen. Die genaue Anzahl der Tabletten richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten/der Patientin. Pro Kilogramm Körpergewicht müssen insgesamt über 2 Jahre 3,5 mg Cladribin eingenommen werden. Wie das Einnahmeschema bei unterschiedlichem Gewicht genau aussieht, ist aus entsprechenden Tabellen ersichtlich.

Die übrigen Tage in den (ersten und zweiten) Therapiemonaten sind frei, ebenso die restlichen Monate des ersten und zweiten Therapiejahres. Aufgrund der langanhaltenden Modulation des Immunsystems können die Folgejahre unter regelmäßigem Monitoring auf neue Entzündungsaktivität ohne Therapie abgewartet werden. Bei Auftreten neuer Entzündungsaktivität (klinische Schübe, Läsionen im MRT) nach Gabe der vollständigen Cladribin-Dosis (2 Zyklen; 3,5 mg/kg KG) sollte die Immuntherapie fortgesetzt werden, Wenn die Aktivität zwischen dem 2. und 4. Therapiejahr auftritt, sollte eine alternative Therapie gewählt werden. Ab dem 5. Jahr kann die Therapie auch mit Cladribin fortgesetzt werden.

Wirkung

Klinische Studien zur Wirksamkeit von Cladribin bei aktiver schubförmig verlaufender MS

Die Wirkung von Cladribin (Mavenclad®) auf die Schubrate und die Zunahme der Behinderung wurde in der Zulassungsstudie (CLARITY) geprüft und 2010 veröffentlicht. In CLARITY wurde die Wirksamkeit von 2 unterschiedlichen Cladribin-Tabletten Dosierungen mit Placebo, also einem Scheinmedikament, verglichen. Insgesamt wurden 1.326 Patienten mit aktiver MS über einen Zeitraum von 2 Jahren untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten, die mindestens einen Schub in den 12 Monaten vor Studienbeginn hatten.

Die Ergebnisse hier beziehen sich auf die zugelassene, niedrigere Dosierung (3,5 mg Cladribin pro Kilogramm Körpergewicht, auch: 3,5 mg / kg KG). Die in den Studien ebenfalls getestete höhere Dosierung (5,25 mg / kg KG Cladribin-Tabletten) war nicht wirksamer. Die CLARITY-Studie zeigte eine statistisch signifikant höhere Wirksamkeit des Medikaments gegenüber einer Placebo-Gabe.

Wirkung auf die Schubfreiheit

Im Folgenden wird erklärt, wie viele Patienten nach zwei Jahren Therapie mit Cladribin oder Einnahme von Placebo noch schubfrei waren. Daraus kann man den absoluten Nutzen (absolute Risikoreduktion) und den relativen Nutzen (relative Risikoreduktion) berechnen.

  • Absoluter Nutzen:
    Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl der Patienten mit Schüben in der Cladribin-Gruppe (20 von 100 Patienten) von denen mit Schüben in der Placebo-Gruppe (39 von 100 Patienten) abzieht. Tatsächlich profitieren 39-20=19, also 19 von 100 Patienten von der Therapie.

    Entspricht einer absoluten Risikoreduktion von: 19 %
  • Relativer Nutzen:
    Wird die Wirkung nur bezogen auf die Patienten mit Schüben dargestellt, haben in der Placebo-Gruppe 39 von 100 Patienten einen Schub und in der Cladribin-Gruppe sind es mit 20 von 100 Patienten 19 weniger. 19 von 39 sind in Prozent umgerechnet 49%.

    Entspricht einer relativen Risikoreduktion von: 49 %

Wirkung auf die Anzahl der Schübe pro Jahr

Die jährliche Schubrate zeigt, wie viele Schübe durchschnittlich pro Jahr pro Patient auftraten. Sie lag in der Placebo-Gruppe bei 0,33 Schüben gegenüber 0,14 in der Cladribin-Gruppe. Etwas verständlicher ausgedrückt: Die Patienten in der Placebo-Gruppe haben im Durchschnitt alle 3 Jahre einen Schub, die Patienten in der Cladribin-Gruppe nur alle 6,5 Jahre.

Wirkung auf die Verhinderung des Fortschreitens der Behinderung

Die Behinderungsprogression wird innerhalb einer klinischen MS-Studie gemessen, indem man untersucht, wie viel Prozent der Patienten einer Studiengruppe sich während der Studiendauer um einen EDSS-Punkt auf der Behinderungsskala verschlechtert haben (wobei diese Verschlechterung nach 3 Monaten nochmals bestätigt wird, um auch wirklich dauerhafte Veränderung zu bewerten).

Im Folgenden wird erklärt, wie viele Patienten nach 2 Jahren Therapie mit Cladribin oder Einnahme von Placebos keine Zunahme der Behinderung hatten. Dargestellt ist wieder der absolute Nutzen (absolute Risikoreduktion) und der relative Nutzen (relative Risikoreduktion).

  • Absoluter Nutzen:
    Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl der Patienten mit einer Zunahme der Behinderung in der Cladribin-Gruppe (14 von 100 Patienten) von denen mit einer Zunahme der Behinderung in der Placebo-Gruppe (21 von 100 Patienten) abzieht. Tatsächlich profitieren 21-14=7, also 7 von 100 Patienten von der Therapie.

    Entspricht einer absoluten Risikoreduktion von: 7 %
  • Relativer Nutzen:
    Wird die Wirkung nur bezogen auf die Patienten mit einer Zunahme der Behinderung dargestellt, haben in der Placebo-Gruppe 21 von 100 Patienten eine Zunahme der Behinderung und in der Cladribin-Gruppe sind es mit 14 von 100 Patienten 7 weniger. 7 von 21 sind in Prozent umgerechnet 33 %.

    Entspricht einer relativen Risikoreduktion von: 33 %

Im Anschluss an die 2-jährige Kernstudie CLARITY wurde eine sogenannte Verlängerungsstudie durchgeführt, die CLARITY EXTENSION Studie.

Patienten, die in der Kernstudie Placebo erhalten hatten, erhielten nun Cladribin (3,5 mg / kg KG), und Betroffene, die in der Kernstudie Cladribin (3,5 oder 5,25 mg / kg KG) erhalten hatten, erhielten entweder erneut Cladribin (3,5 mg / kg KG) oder Placebo. Es wurden 60 % der in der CLARITY-Studie Behandelten in der Verlängerungsstudie nachbeobachtet. Einschränkend muss erwähnt werden, dass aufgrund des Cross-over-Designs nur eine geringe Zahl (n = 89) der Studienpatienten so behandelt wurde, wie die Zulassung des Präparates es vorsieht (3,5 mg / kg KG Cladribin kumulativ in Jahr 1 und Jahr 2, keine wirksame Therapie/Placebo in Jahr 3 und Jahr 4). Mit diesem Regime konnten die Ergebnisse der Kernstudie aufrechterhalten werden. Trotz der limitierten Patientenzahl in der CLARITY-EXTENSION Studie, zeigten nachfolgende Beobachtungsstudien, dass die überwiegende Mehrzahl der behandelten Patienten in Jahr 3 und 4 keine weitere Therapie mehr benötigten.

Wirkung auf die Ergebnisse der Kernspintomografie (MRT) in zwei Jahren

In der Kernspintomografie werden Kontrastmittelanreicherungen und sogenannte T2-Herde sichtbar, die als Ausdruck der Entzündung bei MS betrachtet werden. Dabei können Herde größer werden oder ganz neu auftreten.

28 % der Patienten in der Placebo-Gruppe und 62 % in der Cladribin-Gruppe waren über die Studiendauer frei von neuen oder vergrößerten T2-Herden. 47 % der Patienten in der Placebo-Gruppe und 87 % in der Cladribin-Gruppe hatten über die Studiendauer keine Herde mit Kontrastmittelanreicherungen.

Fasst man neue T2-Herde und Kontrastmittel anreichernde Herde als gesamte MRT-Aktivität zusammen, so fanden sich in der Placebo-Gruppe 25 % und in der Cladribin-Gruppe 60 % der Patienten ohne MRT-Aktivität.

Nebenwirkungen

Welche Nebenwirkungen hat Cladribin (Mavenclad®)?

In der Zulassungsstudie hatten 347 (81 %) der Patienten in der Cladribin-Gruppe Nebenwirkungen und 319 (73 %) der Patienten in der Placebo-Gruppe. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Bei 9 (2 %) Patienten in der Placebo-Gruppe und bei 15 (3,5 %) in der Cladribin-Gruppe führten die Nebenwirkungen zum Abbruch der Behandlung, dieser Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant.

Kopfschmerzen traten in der Placebo-Gruppe bei 17 %, in der Cladribin-Gruppe bei 24 % auf, ein Unterschied von 7 %.

Eine deutliche, jedoch vorübergehende Verminderung der Zahl der Lymphozyten (unter 500 Zellen pro Mikroliter [µl]) trat bei 20 von 100 Patienten nach Cladribin-Gabe auf und ist durch den Wirkmechanismus des Medikaments bedingt. Am Ende der 2-jährigen Zulassungsstudie lag der Wert im Mittel bei 900 Zellen/µl, also knapp unter dem Normbereich. Auch eine vorübergehende Erniedrigung der Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) unter 3.000 Zellen/µl war in der Cladribin-Gruppe mit 5 von 100 Patienten häufiger. Dennoch kam es insgesamt nicht gehäuft zu Infektionen. Allerdings litten mehr Patienten in der Cladribin-Gruppe unter einem Herpes zoster (Gürtelrose) (2 von 100) sowie vaginalen Infektionen (2 von 100).

Die häufigsten Nebenwirkungen im direkten Vergleich
(≥ 10 % der Patienten in einer Behandlungsgruppe)

Placebo Cladribin
Kopfschmerzen
Lymphopenie
Anteil Studienpatienten

Quelle: CLARITY

Grundsätzlich ist wichtig zu wissen, dass Nebenwirkungen in Studien nicht nur bei den Patienten auftreten, die das Medikament erhalten, sondern auch in der Studiengruppe mit einem bekannten Medikament oder Placebo.

Schwere Nebenwirkungen und Todesfälle

Schwere Nebenwirkungen und Todesfälle

In der Placebo-Gruppe kam es bei 6,4 % der Patienten und in der Cladribin-Gruppe bei 8,7 % der Patienten zu schwerwiegenden Nebenwirkungen, d.h. diese kamen bei Cladribin-Einnahme nicht gehäuft vor.

Während und nach der Studie traten insgesamt 6 Todesfälle auf (Placebo und Behandlungsgruppe). Bezieht man auch die nicht zugelassene, aber in der Zulassungsstudie untersuchte Behandlungsgruppe mit ein, die eine höhere Gesamtdosis von 5,25 mg/kg Körpergewicht (KG) erhalten hat, so traten in jeder Behandlungsgruppe zwei Todesfälle auf. Die Ursachen waren wie folgt: in der Placebo-Gruppe 1 Suizid und 1 Schlaganfall; in der 3,5 mg/kg KG Cladribin-Gruppe 1 Herzinfarkt und 1 Tod aufgrund einer Bauchspeicheldrüsen-Krebserkrankung nach Ende der Studie; in der 5,25 mg/kg KG Cladribin-Gruppe 1 Todesfall durch Ertrinken und 1 Herzinfarkt nach Ende der Studie. Die Todesfälle wurden nicht mit der Behandlung in Verbindung gebracht. Angesichts der Ursachen und der Verteilung ergibt sich daher kein spezifisches Sicherheitssignal.

Krebserkrankungen

Krebserkrankungen

In den randomisierten klinischen Studien wurden bei Patienten, die mit Cladribin 3,5 mg/kg Körpergewicht behandelt wurden, numerisch häufiger maligne Erkrankungen beobachtet als bei Patienten, die Placebo erhielten. Dieser Unterschied war allerdings nicht statistisch signifikant, und könnte auf einer ungewöhnlich niedrigen Tumorrate in der Placebo-Gruppe beruhen. In einer integrierten Analyse des gesamten MS-Studienprogramms (CLARITY, CLARITY-EXT, ORACLE-MS und PREMIERE) fand sich gegenüber einer gematchten Referenzpopulation keine erhöhte Tumorrate für Cladribin-behandelte Patienten.

Cladribin ist somit nach aktuellen Daten nicht mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert. Dennoch ist zu beachten, dass alle Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen, das Krebsrisiko erhöhen können. Daher ist auch bei Einnahme von Cladribin Wachsamkeit angezeigt.

Infektionen

Infektionen

Wenn man die Infektionen zusammenzählt, traten diese bei Cladribin-Gabe nicht häufiger auf als bei den Patienten, die ein Placebo erhielten. Es kam jedoch bei einer Patientin zu einer Reaktivierung einer nicht bekannten Tuberkulose.

Beim Einsatz von Cladribin bei MS-Patienten gab es bisher keine PML-Fälle.

Dennoch ist zu beachten, dass alle Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen, auch das Infektionsrisiko erhöhen können. Wenn die Lymphozyten unter eine bestimmte Schwelle sinken (< 200 Zellen/µl), wird daher auch eine vorbeugende Herpesvirus-Therapie empfohlen (siehe unten).

Neue Nebenwirkungen nach Abschluss der Zulassungsstudien?

Welche neuen Nebenwirkungen wurden nach Abschluss der Zulassungsstudien berichtet?

Neue Nebenwirkungen wurden bisher nicht berichtet. Das Nebenwirkungsprofil der Substanz entspricht auch in der praktischen Anwendung dem Profil, dass in den klinischen Zulassungsstudien gesehen wurde.

Einnahme

Wann sollte Cladribin (Mavenclad®) nicht eingenommen werden?

Cladribin (Mavenclad®) sollte nicht eingenommen bei

  • einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff.
  • akuten Infektionen.
  • chronischen Infektionen wie HIV, Hepatitis-B oder -C (HBV und HCV) oder Tuberkulose.
  • einer Immunschwäche oder einer Therapie mit einem Medikament, welches das Immunsystem verändert bzw. unterdrückt.
  • aktiven Krebserkrankungen.
  • einer mittelschweren oder schweren Einschränkung der Nieren- oder Leberfunktion.
  • Schwangerschaft; Stillen wäre (laut Fachinformation) prinzipiell eine Woche nach der letzten Einnahme möglich.
  • Fruktoseintoleranz, da die Tablette Sorbitol enthält.

Wie erfolgt die Einnahme von Cladribin-Tabletten?

Cladribin wird über 2 Jahre in jeweils 2 jährlichen Behandlungszyklen im Abstand von je 1 Monat verabreicht. Das heißt, die Patienten erhalten jeweils in Monat 1 und 2 und in Monat 13 und 14 über je 4-5 Tage Cladribin-Tabletten.

Die Dosis des Medikaments richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten. Pro Kilogramm Körpergewicht erhält jeder Patient im Laufe der 2 Jahre 3,5 mg Cladribin. Das nennt sich „kumulative Dosis“. Diese kumulative Dosis wird durch 4 (= 4 Zyklen) geteilt und das Ergebnis auf 4 bis 5 Tage verteilt.

Die Beispiel-Rechnung für einen 60 Kilogramm schweren Patienten sähe so aus:

  • Kumulative Dosis: 60 kg x 3,5 mg Wirkstoff = 210 mg
  • Dosis pro Behandlung: 210 mg / 4 Zyklen = 52,5 mg / Zyklus
  • Dosis pro Tag (in 10 mg-Tabletten): 52,2 mg / 5 Tage = 1 x 10 mg / Tag
  • Das heißt, ein 60 Kilogramm schwerer Patient würde in Monat 1 und 2 sowie in Monat 13 und 14 für 5 Tage je eine 10 mg-Tablette Cladribin einnehmen.

Vor Therapiebeginn

Worauf ist bei Therapiebeginn mit Cladribin (Mavenclad®) zu achten?

Aufklärungsgespräch: Vor der Entscheidung für eine Behandlung werden in einem ausführlichen Arzt-Patienten-Gespräch der Nutzen und die Risiken der Cladribin-Therapie erläutert. Es muss genügend Zeit für den Informationsaustausch und die Entscheidungsfindung gegeben sein. Alle offenen Fragen sollten besprochen werden. Patienten müssen vor Behandlungsbeginn schriftlich in die Behandlung einwilligen.

Vorerkrankungen: Vor der Behandlung mit Cladribin wird ein ausführliches Gespräch über Vorerkrankungen geführt und es wird eine klinische Untersuchung vorgenommen. Außerdem erfolgt eine Routineblutuntersuchung (großes Blutbild, Leber- und Nierenwerte) und insbesondere eine Hepatitis-B-Serologie, auch um bestimmte Vorerkrankungen auszuschließen.

Impfungen: Aktuelle Daten, die während der COVID19-Impfkampagne erhoben wurden, sprechen dafür, dass Cladribin keinen wesentlichen Einfluss auf den Impferfolg hatte. Zudem zeigte eine kontrollierte prospektive Impfstudie einen adäquaten Impferfolg der Influenza-Impfung unabhängig von der Therapiedauer und dem zeitlichen Abstand zur letzten Cladribin-Tabletten Gabe. Da aber eine Therapie mit Cladribin grundsätzlich einen Eingriff in das Immunsystem darstellt, sollten auch vor einer Therapie mit Cladribin vorzugsweise alle Standardimpfungen durchgeführt werden, die die STIKO (Ständige Impfkommission) für Menschen empfiehlt, deren Immunsystem teilweise blockiert werden soll. Falls der Antikörperschutz gegen Windpocken (VZV) im Blut nicht ausreicht, sollte vor Beginn der Therapie eine Impfung erfolgen. Die Therapie mit Cladribin sollte frühestens 6 Wochen nach erfolgreicher Impfung begonnen werden.

Kernspintomografie (MRT): Vor Beginn einer Therapie mit Cladribin sollte eine aktuelle MRT-Aufnahme Ihres Kopfes gemacht werden, nicht nur um einen Ausgangsbefund zu haben und den Therapieverlauf im Weiteren beurteilen zu können, sondern auch aus Sicherheitsaspekten.

Vortherapien: Falls Sie zuvor bereits eine Therapie erhalten haben, die das Immunsystem beeinflusst oder hemmt, müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden. Diese richten sich nach der Wirkdauer der Medikamente. Grundsätzlich sollte sich das Blutbild nach Absetzen einer Vortherapie wieder normalisiert haben. Eine Kurzzeitbehandlung mit Kortikosteroiden (Kortison), z.B. zur Schubtherapie, ist auch während der Behandlung möglich. Sicherheitsabstände vor Therapie mit Cladribin: Wenn Sie bisher keine andere MS-Therapie erhalten haben, mit Glatirameracetat, einem Interferon-beta-Präparat oder mit Dimethylfumarat / Diroximelfumarat behandelt wurden, kann die Behandlung direkt ohne Sicherheitsabstand begonnen werden. Nach der Behandlung mit Teriflunomid muss ein Sicherheitsabstand von mindestens vier Wochen eingehalten werden (Auswaschen empfohlen). Nach einer Behandlung mit den S1P-Rezeptor-Modulatoren Fingolimod oder Ozanimod muss ein Sicherheitsabstand von mindestens vier Wochen, bei Siponimod und Ponesimod kann aufgrund der kürzeren Halbwertszeiten ein kürzerer Abstand von ein bis zwei Wochen eingehalten werden. Nach einer Therapie mit Natalizumab bzw. dem Natalizumab-Biosimilar muss ein Behandlungsabstand von ca. sechs bis acht Wochen eingehalten werden. Nach Mitoxantron ist ein Sicherheitsabstand von mindestens drei Monaten einzuhalten. Bei Vortherapie mit Alemtuzumab, Ocrelizumab, Ofatumumab oder anderen Antikörpern, die zielgerichtet Immunzellen zerstören (sogenannten depletierenden Antikörpern), wird ein Abstand von mindestens sechs bis zwölf Monaten angeraten.

Von diesen allgemeinen Empfehlungen kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn medizinische Überlegungen (Befürchtung eines Rebound nach S1P-Rezeptor-Modulator-Therapie oder anhaltender Krankheitsaktivität) ein anderes Vorgehen notwendig machen. Es empfiehlt sich die Rücksprache mit einem MS-Zentrum.

Was muss vor der Therapie mit Cladribin (Mavenclad®) kontrolliert werden?

Wir empfehlen die folgenden Kontrolluntersuchungen vor der Cladribin-Therapie:

UntersuchungWann
Dokumentierte Aufklärung über Therapie und Risikenvor Therapiebeginn
Anamnese und klinische Untersuchungvor Therapiebeginn
Blutbild und Differenzialblutbildvor Therapiebeginn
Leber- und Nierenwertevor Therapiebeginn
Urinstatus, CRP, BSGvor Therapiebeginn,
Infektionssuche (insb. chronische aktive bakterielle und virale Infektionen)vor Therapiebeginn
Schwangerschaftvor Therapiebeginn
Hepatitis B, Hepatitis C, HI-Virusvor Therapiebeginn
Tuberkulosevor Therapiebeginn
Windpockenvor Therapiebeginn
MRTvor Therapiebeginn

Kontrolle der Leuko- und Lymphozytenzahl

Vor Beginn einer Therapie mit Cladribin muss ein großes Blutbild, das heißt die Bestimmung der Anzahl aller Blutzellen, erfolgen. Damit man mit der Einnahme von Cladribin beginnen bzw. diese im zweiten Jahr fortsetzen kann, müssen die Leukozyten und Lymphozyten, die weißen Blutzellen also, über bestimmten Grenzwerten liegen. Ist die Anzahl geringer, kann die Behandlung um bis zu sechs Monate verschoben werden. Sollten die Werte weiter niedrig bleiben, muss die Therapie abgesetzt werden. Patienten, deren Lymphozytenzahl während der Cladribin-Behandlung unter einen Grenzwert von 500 Zellen/µl sinkt, sind anfälliger für eine Herpes-Infektion. Eine vorbeugende medikamentöse Herpes-Therapie mit Aciclovir-Tabletten sollte ab einem Wert von 200 Zellen/µl eingeleitet werden. Wegen des Risikos anderer Infektionen sollten diese Patienten generell aktiv überwacht und gegebenenfalls behandelt werden. Während der Behandlungsdauer und auch in den Folgejahren wird empfohlen, die Standard-Krebsvorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.

Während der Therapie

Was muss während der Therapie mit Cladribin (Mavenclad®) kontrolliert werden?

Wir empfehlen die folgenden Kontrolluntersuchungen während der Cladribin-Therapie:

UntersuchungWann / Häufigkeit
klinisch-neurologische Untersuchungalle 3 Monate
Blutbild und Differenzialblutbildvor jedem Behandlungszyklus
Lymphozytentypisierung (CD4+-T-Zellen, CD8+-T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen)bei Bedarf
Infektionssuchevor jedem Behandlungszyklus
Schwangerschaftvor jedem Behandlungszyklus
MRTJährlich
KrebsvorsorgeStandard-Krebsvorsorgeuntersuchungen empfohlen

Wie lange wird behandelt?

Die Behandlungsdauer mit Cladribin-Tabletten ist für 2 Jahre vorgesehen mit anschließenden 2 Jahren ohne Therapieeinnahme. Die Langzeitdaten der Zulassungsstudie sprechen dafür, dass der Effekt 2 weitere Jahre anhält. Über diese Zeit hinaus liegen keine Daten vor. Nutzen und Risiko der Einnahme müssen laufend überprüft werden. Als Hinweise für eine Wirksamkeit werden allgemeine Schubfreiheit und das Fehlen neuer Herde in der MRT angesehen. Deshalb empfiehlt das KKNMS eine Ausgangs-MRT und anschließend jährlich eine MRT, um Nutzen und auch mögliche Risiken abzuschätzen.

Häufige Fragen

Schwangerschaft und Stillzeit

Schwangerschaft und Stillzeit

Cladribin darf in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht eingenommen werden. In Tierstudien und an menschlichen Zellen in Laborversuchen zeigte Cladribin eine schädigende Wirkung auf den Embryo.

Bevor eine Behandlung mit Cladribin begonnen wird, muss deshalb eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Frauen und Männer, die mit Cladribin behandelt werden, sollten während der Behandlung und bis 6 Monate danach nicht schwanger werden bzw. keine Kinder zeugen. In dieser Zeit müssen zuverlässige Verhütungsmethoden angewendet werden.

Sollte während bzw. in den 6 Monaten nach der Cladribin-Therapie eine Schwangerschaft eintreten, so ist dies trotz der potentiell fruchtschädigenden Wirkung keine Indikation für einen Abbruch. Hier empfiehlt sich eine gynäkologische Konsultation sowie das Monitoring mit spezialisiertem Ultraschall. Eine eventuelle Einnahme von Cladribin sollte natürlich sofort unterbrochen werden. 6 Monate nach der letzten Einnahme von Cladribin ist nicht mehr von einem Risiko für eine neue Schwangerschaft auszugehen.

Es ist nicht bekannt, ob Cladribin in die Muttermilch übertritt. Sicherheitshalber sollte auf das Stillen während der Einnahme von Cladribin verzichtet werden.

Verlauf von Schwangerschaften in der Zulassungs- und Verlängerungsstudie

Verlauf von Schwangerschaften in der Zulassungs- und Verlängerungsstudie

Im gesamten Studienprogramm wurden 44 Schwangerschaften bei Patientinnen gemeldet, die Cladribin einnahmen, und 20 in der Placebo-Gruppe.

4 Patientinnen in der Placebo-Gruppe sowie 14 Patientinnen in den Cladribin-Gruppen entschieden sich für eine Abtreibung. Fehlgeburten traten in den Behandlungsgruppen nicht häufiger auf als in der Placebo-Gruppe. Bei keinem der Kinder, die zur Welt kamen (9 in der Placebo-Gruppe, 18 in den Cladribin-Gruppen) wurden Fehlbildungen gemeldet.

Zusätzlich kam es in der Placebo-Gruppe zu einer Entwicklungsstörung des Fötus mit Ablösung des Mutterkuchens.

In den Behandlungsgruppen trat bei einer Schwangerschaft ein Chorionkarzinom auf, d.h. eine bösartige Veränderung am Mutterkuchen, sowie zwei Eileiter-Schwangerschaften.

Impfungen

Impfungen

Alle von der STIKO (Ständige Impfkommission) für Patienten mit einem eingeschränkten Immunsystem empfohlenen Impfungen sollten (möglichst) vor Therapiebeginn durchgeführt bzw. aufgefrischt werden.

Sogenannte Lebendimpfstoffe, bei denen lebende, aber unschädlich gemachte Erreger verwendet werden, müssen möglichst vermieden werden.

Infektionen

Infektionen

Wenn eine Infektion zum Zeitpunkt der Behandlungsphase besteht, sollte die Behandlung erst nach Ausheilen der Infektion begonnen werden.

Alternativen zu Cladribin

Welche Alternativen bestehen zu Cladribin (Mavenclad®)?

Cladribin ist nur eine von verschiedenen zugelassenen MS-Therapien. Das Medikament wird in den aktuellen Leitlinien als Wirkstoff der Wirksamkeitskategorie 2 geführt, wie auch die S1P-Modulatoren Fingolimod, Ozanimod und Ponesimod – diese kämen demnach auch als therapeutische Alternativen in Frage. (Siponimod ist in Deutschland nur für SPMS zugelassen und demnach keine Alternative.) Systematische Vergleichsstudien von Cladribin mit anderen MS-Medikamenten wurden bislang nicht durchgeführt.

Literatur

Veröffentlichungen:

  • ORACLE: Leist TP et al. Effect of oral cladribine on time to conversion to clinically definite multiple sclerosis in patients with a first demyelinating event (ORACLE MS): a phase 3 randomised trial. Lancet Neurol. 2014 Mar;13:257-67.
    Studie, die untersucht, ob Cladribin bei Patienten mit einem klinisch isolierten Syndrom das Auftreten eines zweiten Schubs verhindern kann.
  • CLARITY: Giovannoni G et al. A Placebo-Controlled Trial of Oral Cladribine for Relapsing Multiple Sclerosis. N Engl J Med. 2010;362:416-26.
    Zulassungsstudie mit Placebo als Vergleich.
  • Cook S et al. Safety and tolerability of cladribine tablets in multiple sclerosis: the CLARITY (CLAdRIbine Tablets treating multiple sclerosis orallY) study. Mult Scler. 2011;17(5):578-93.
    Untersuchung der Nebenwirkungen von Cladribin bei den Patienten der Zulassungsstudie.
  • CLARITY EXTENSION: Giovannoni G et al. Safety and efficacy of cladribine tablets in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Results from the randomized extension trial of the CLARITY study. Mult Scler. 2017;23(2s):1352458517727603.
    Langzeitbeobachtungen (bis 8 Jahre) der Patienten der Zulassungsstudie.
  • Rolfes L, Pfeuffer S, Skuljec J, He X, Su C, Oezalp S-H, Pawlitzki M, Ruck T, Korsen M, Kleinschnitz K, et al. Immune Response to Seasonal Influenza Vaccination in Multiple Sclerosis Patients Receiving Cladribine. Cells. 2023; 12(9):1243. https://doi.org/10.3390/cells12091243
    Untersuchung zur Wirksamkeit des Grippeimpfstoffs bei Patienten, die mit Cladribin behandelt werden im Vergleich zu Kontrollpersonen.
  • Leist T, Cook S, Comi G, Montalban X, Giovannoni G, Nolting A, Damian D, Syed S, Galazka A. Long-term safety data from the cladribine tablets clinical development program in multiple sclerosis. Mult Scler Relat Disord. 2020 Nov;46:102572. doi: 10.1016/j.msard.2020.102572. Epub 2020 Oct 8. PMID: 33296971.
    Zusammenfassung der Langzeit-Sicherheitsdaten aus den Zulassungs- und Beobachtungsstudien zu Cladribin-Tabletten.

Fachinformation Cladribin (Mavenclad®):

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Autoren

Autoren der Ursprungsprintversion (Februar 2018):

  • Prof. Dr. Christoph Heesen und seine Mitarbeiterinnen Dr. med. Insa Schiffmann, Anne Schneider, Cand. Med., Dr. med. Klarissa Stürner und Marie Toussaint, Cand. Med.
    INIMS, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
  • Prof. Dr. Clemens Warnke
    Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinik Köln
  • Prof. Dr. Hayrettin Tumani
    Klinik für Neurologie und Neurologische Frührehabilitation, Klinikum Würzburg Mitte, Standort Juliusspital, Würzburg

Reviewer der Online-Version:

  • Prof. Dr. Mathias Mäurer
    Klinik für Neurologie und Neurologische Frührehabilitation, Klinikum Würzburg Mitte, Standort Juliusspital, Würzburg

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Autoren

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Wer hat das Handbuch erstellt?

Die vorliegenden Informationen wurden vom krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) in enger Abstimmung mit dem Fachausschuss Versorgungsstrukturen und Therapeutika und dem Vorstand des ärztlichen Beirats der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Bundesverband e.V. erstellt sowie mit den Betroffenenvertretern und Vertretern des Bundesbeirats MS-Erkrankter der DMSG abgestimmt.

Die Pharmafirmen hatten Gelegenheit das Handbuch zu kommentieren.

Gibt es Interessenkonflikte der Autoren?

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